Botulinumtoxin versus Perfetti bei Synkinesien


Immer wieder werde ich von Betroffenen mit Facialisparese zu meiner Meinung zu "Botox - Behandlungen" bei Synkinesien gefragt.

 

Ich weiß, dass es aus ärztlicher Sicht das einzige ist, was man dagegen machen kann. Genau: Aus ÄRZTLICHER Sicht, NICHT aus Sicht einer Therapeutin, die mit dem Gehirn der Betroffenen am motorischen "UM-Lernen" arbeitet, so wie ich es mache. Hier also meine Gedanken dazu:

 

Wie wirkt Botox oder Botulinumtoxin:

Botox ist bekanntlich ein Nervengift und hemmt temporär (ca. 3 - 6 Monate) die Ausführung einer bestimmten Muskelaktivität. Durch das Gift wird die "Andockstelle" des Nerves an den Muskeln außer Kraft gesetzt. Das bedeutet, dass der elektrischen Impuls des Nerven nicht mehr am Muskel ankommt und dieser unaktiviert bleibt z.B. wenn eigentlich eine Synkinesien, also Mitbewegung an anderer, unerwünschter Stelle nach außen sichtbar wird.

Daduch, dass das Gift nur eine gewisse Zeit wirkt, kommen die Synkinesien wieder, sobald Sie mit den Botoxinjektionen aufhören.

Mit anderen Worten bedeutet dies, dass Sie es höchstwahrscheinlich bis ins hohe Alter nehmen müssten, um denselben Effekt in Ihrem Gesicht zu haben. Das ist eine individuelle Entscheidung.

Nur weiß bislang noch niemand, wie mögliche Langzeitschäden z.B. bei Facialiparesen sind. Es gibt dazu keine mir bekannten Studien und auch bei Studien ist immer die Schlüsselfrage, wer diese bezahlt hat. Denn davon hängt sehr häufig das Ergebnis ab.

 

Grundsätzlich gibt es spezielle ärztliche Fachmänner und -frauen für diese Art des medizinischen Einsatzes von Botox. Denn es ist sehr wichtig, genau zu ermitteln, wohin welche Menge an Gift gespritzt werden darf. Denn wenn z.B. die Menge zu hoch dosiert ist, kann es (schlimmstenfalls) auch kurzfristig zum kompletten Funktionsausfall des gespritzten Muskels kommen. Also auch hier gilt es, Ärzte mit entsprechender Expertise zu finden.


Perfetti bei Synkinesien

Die therapeutische Sichtweise:

Die Botox - "Behandlung" setzt am Muskel bzw. an der Nervenendigung an, die den Muskel aktiviert. Sie interveniert also am nach außen sichtbaren Symptom.

Wäre es nicht sinnvoller, die Behandlung von Synkinesien auf kausaler Ebene, also  der Ursache zu behandeln?!

 

Die neuronale Ursache auf Ebene des N. Facialis von Synkinesien lesen Sie bitte hier nach.

 

In Kurz zur Nervenlage: Nach einer Läsion des Axons, des sensiblen "Kerns" eines jeden Nerves (wie bei einem Kabel die Fasern, die von der Ummantelung geschützt werden) kommt es häufig zu einer Art "Teilung" bzw. einem "Ausfransen" der einzelnen Nervenfasern. Diese Faser"teilung" führt dazu, dass z.B. gleichzeitig Auge und Mund muskulär aktiviert werden. Diese "Doppel-Kopplung" wird aktiviert, obwohl der Mensch z.B. nur die Augen schließen wollte, ohne dabei den Mundwinkel zu bewegen oder umgekehrt. Dieses Phänomen nennt sich Synkinesie.

 

Die muskuläre Ursache von Synkinesien:

Das in Erscheinung Treten von Synkinesien wird ebenfalls durch eine erhöhte Grundspannung der Muskulatur verstärkt. Damit meine ich, dass viele Betroffene nach einer Facialisparese häufig auch ohne eine aktive Bewegung im Gesicht ein "verkrampftes" oder wenigstens stärker angespanntes Gefühl in z.B. ihrer betroffenen Wange spüren. Ein "verkrampfter" Muskel kontrahiert sich "leichter" und "stärker" und gibt somit seine erhöhte Kontraktionsintensität auch leichter an benachbarte Muskeln weiter. Auf diese Art dehnt sich die Kontraktion weitaus stärker aus als vom Menschen erwünscht. Die Muskelaktivität "springt" förmlich von einen Muskel auf einen anderen und sorgt dafür, dass sich Muskeln kontrahieren, die eigentlich gar nicht im Bewegungsplan enthalten waren.

 

Die neuronale Ursache auf Ebene des Gehirns für Synkinesien:

Je länger und häufiger der Betroffene unter Synkinesien leidet, umso häufiger kommt das Feedback der Rezeptoren ("Fühlerzellen") von erfolgter "Mitbewegung" an das zentrale Nervensystem zurück. Jeder Erfahrung des Körpers hinterlässt ihre Spur im Gehirn, kann man vereinfacht sagen.

Irgendwann ist es dann so, dass das Gehirn bereits MIT Synkinesien die Bewegung plant.

Man könnte es auch "motorische Fehl-Konditionierung" bezeichnen.

 

Das ist an folgendem Alltagsbeispiel sehr leicht zu verstehen:

Sicher haben Sie sich mit einem Messer in den Finger geschnitten. Sobald Sie das erste Mal ein Glas zum Trinken ergreifen, sorgt der Druckschmerz dafür, dass Sie den Finger vom Glas wegspreizen. Von da an nimmt alles seinen Lauf: Immer wenn Sie erneut nach etwas Greifen, sorgt das Gehirn im Vorfeld, also auf Ebene der Bewegungsplanung schon dafür, dass sich die Schmerzerfahrung nicht wiederholt: Es plant bereits den abgespreizten, verletzten Finger und fortan das Greifen mit nur noch 4 Fingern.

Und so ist es auch mit Synkinesien. Sobald diese oft genug ihr Feedback im Gehirn hinterlassen haben, werden sie irgendwann Teil des Bewegungsplans. Der Körper folgt natürlich immer der Planung.

 

 

Aus diesem "Teufelskreis" gilt es aus zu steigen!    -      WIE?!     Allgemein formuliert so:

Es sollte auf allen drei Ebenen angesetzt werden, die ich zuvor als Ursache beschrieb:

  • Handlungen des Gesichtes oder des Körper, die Synkinesien im Gesicht auslösen, so gut es geht vermeiden oder wenigstens zu reduzieren, besonders wichtig zu Behandlungsbeginn.
  • Grundspannung der Muskulatur reduzieren (z.B. mittels gezielter Entspannungsübungen für das Gesicht)
  •  Wahrnehmungstraining für die Kommunikationsverbesserung zwischen den Rezeptoren ("Fühlerzellen") des Gesichtes und den verarbeitenden Hirnfelden. Der Facialisnerv ist auch für die Weiterleitung von sensiblen Informationen aus dem Gesicht zuständig.
  •  Wiedererlernen physiologischer, dosierter Bewegungspläne über den gezielten Einsatz von Bewegungserfahrungen aus der Zeit VOR der Läsion, auch prä-läsionale Vorstellung genannt.

All diese Faktoren gilt es in der Behandlung individuell in Interaktion zu bringen, um bestmöglich die entstandenen Synkinesien zu reduzieren.

 

Motorische Resutate Betroffener, finden Sie hier.